Finaler Kompromiss für die neue Maschinenverordnung veröffentlicht

Der Rechtsanwalt der tekom, Herr Heuer, hatte noch im November 2022 „genüsslich“ erklärt, dass die Verabschiedung der neuen Maschinenverordnung wohl noch viele Monate dauern würde. Der damals veröffentlichte Text sei noch viel zu unklar und die damals 4 veröffentlichten Varianten sehr unterschiedlich. Doch seit dem 25.01.2023 ist nun überraschend schnell ein finaler Kompromissvorschlag des Textes der Maschinenverordnung veröffentlicht worden:

„Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on machinery products – Letter to the Chair of the European Parliament IMCO Committee ST 5617 2023 INIT“

Erhältlich unter folgendem Link (zurzeit nur in englischer Sprache):

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=consil%3AST_5617_2023_INIT

Dass man diesen Text eigentlich nur mit der Google-Suche schnell findet, ansonsten nur mit Hintergrundkenntnissen über das Ablagekonzept auf den EU-Servern, zeigt einmal mehr, dass die EU ein Usability-Problem beim Bereitstellen von Informationen hat.

Schauen wir uns den Text näher an. Hat sich gegenüber den bisher vorgestellten „Verschlimmbesserungen“ etwas geändert? Siehe hierzu Blogbeitrag "Es geht voran: Die neue Maschinenverordnung in der letzten Abstimmungskurve – leider mit Verschlimmbesserungen".

Wir konzentrieren uns nur auf die Themen der Technischen Dokumentation.

Geblieben ist die formale Unterscheidung zwischen „professional user“ und „consumer“ (non-professional user) und die in der Konsequenz problematische Folgerung:

„the manufacturer should take account of the fact that the consumer does not have the same knowledge and experience with handling machinery”

Soll das heißen, auch wenn die Maschine nur für den „Professional User“ gedacht ist, muss man die faktische Nutzung des Produkts durch „Nicht-Profis“ immer berücksichtigen?
Das würde doch z. B. bedeuten, dass die Anleitung für einen Dimmer aus dem Baumarkt (den ja nur Fachleute installieren dürfen) auch „Laien“ berücksichtigen muss. Und das darf der Hersteller in der Anleitung nicht ausschließen?

Der Themenbereich „Anleitung digital oder gedruckt“ wurde durch eine „salomonische Umformulierung“ in der Einleitung nochmals verschlimmbessert:

„(35a) Instructions and other relevant documentation may be provided in a digital printable format.“

Faktisch kann das eigentlich nur ein PDF sein. Die Formulierung hätte sinngemäß besser in etwa so lauten müssen: „Digitales Format unter Berücksichtigung anerkannter Ergonomie-Grundsätze“ (und ggf. einer dann als harmonisiert zu definierenden Norm DIN ISO 24495-1 „Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien" – aktuell nur als Entwurf ISO/ DIS 24495‑1:2022 erhältlich). Zusätzlich muss dann, soweit als Nutzungssituation sinnvoll ermittelt, auch ein druckoptimiertes Format bereitgehalten werden (z. B. PDF oder druckoptimiertes HTML).

Was soll der Unsinn, dass das digitale Format generell druckbar sein muss? Sind somit Videos niemals als Anleitung definierbar? In der eigentlichen Verordnung ist die Formulierung „druckbares elektronisches Format“ dann zum Glück eher „aufgeweicht“.

Die folgende Formulierung ist im Kompromissvorschlag endlich ein wenig praxisgerechter geworden:

„However, the manufacturer should ensure that distributors can provide, upon request of the purchaser at the time of the purchase, the instructions for use in a paper format free of charge.
The manufacturer should also consider providing the contact details where the purchaser can request the instructions to be dispatched by mail.“

Nun muss der Kunde beim Kauf seinen Wunsch äußern. „Free of charge“ bleibt ein völlig fragwürdiges Konzept. Keine Schraube, kein Schutzblech, keine Sicherheitsausrüstung muss „umsonst“ einem Produkt beigelegt werden. Das Produkt kostet mit den verpflichtenden Sicherheitskonzepten X Euro – warum darf darin der Preis für eine Anleitung nicht enthalten sein?
Leider ist die Formulierung in der eigentlichen Verordnung dann erweitert worden, mit eher negativen Folgen.

Interessant ist der in der Verordnung genannte direkte Bezug zur Barrierefreiheit:

„The harmonised standards relevant to this Regulation should take into account the requirements of Directive (EU) 2019/882 (European Accessibility Act) and the United Nations Convention on the Rights of Persons with Disabilities”

Welche Bedeutung dieser Bezug für eine möglicherweise verpflichtende barrierefreie Gestaltung von Anleitungen gemäß ETSI 301459 V3.2.1 (harmonisiert mit der erwähnten Richtlinie) hat, ist bestimmt noch zu klären – bei Investitionsgütern ist eine Barrierefreiheit vermutlich oft nicht möglich oder nicht sinnvoll.

Die bisherigen Zitate stehen alle im Vorwort. Die eigentliche Verordnung, die die im Vorwort genannten „should-Formulierungen“ in „shall-Formulierungen“ (also Muss-Formulierungen) umsetzt, beginnt im 246-seitigen Werk ab Seite 28. Dort steht mit Blick auf Anleitungen im Chapter 2 Artikel 10(7):

„Manufacturers shall ensure that the machinery or related products are accompanied by the instructions for use and information set out in Annex III.
The instructions may be provided in a digital format. Such instructions and information shall clearly describe the product model to which they correspond.

When the instructions for use are provided in digital format, the manufacturer shall:

(a) mark on the machinery or related product, and on the packaging or in an accompanying document how to access the digital instructions;

(b) present them in a format that makes it possible for the user to print and download the instructions for use and save them on an electronic device so that he or she can access them at all times, in particular during a breakdown of the machinery or related product. This requirement also applies where the instructions for use are embedded in the software of the machinery or related product;

c) make them accessible online during the expected lifetime of the machinery or related product and not less than 10 years after the placing on the market of the machinery or related product."

Die Formulierung in der Einleitung „printable digital format“ ist in der eigentlichen Verordnung nun doch offener gefasst. Die Bereitstellung in möglicherweise 3 Formaten – einmal „embedded“, dann online und Ergonomie-optimiert (z. B. als Videos oder Augmented Reality) und schließlich eine Lösung als Druckformat (ohne eine Papieranleitung explizit bereithalten zu müssen) – erscheint durchaus verordnungsgerecht.

Es folgt dann eine überraschende Formulierung zur Wahl des Papierformats:

„However, upon request of the user at the time of the purchase, the manufacturer shall provide the instructions for use in paper format free of charge within one month.”

Auf Anforderung soll auch einen Monat nach Kauf der Maschine eine kostenlose gedruckte Anleitung nachgefordert werden können. Diese Formulierung halte ich für wenig sinnvoll und unnötig kostentreibend.

Schließlich wiederholt auch der Kompromissentwurf die sehr fragwürdige Forderung nach gedruckten Sicherheitsinformationen für nicht-professionelle Anwender:

„In the case of a machinery or related product intended for non-professional users or which can, under reasonably foreseeable conditions, be used by non-professional users even if not intended for them, the manufacturer shall provide in paper format the safety information that are essential for putting the machinery or related product into service and for using it in a safe way.“

Die Formulierung erlaubt eigentlich die schon bisher praktizierte Lösung, das sogenannte Sicherheitskapitel separat gedruckt und die restliche Anleitung digital bereitzustellen. Allerdings wird der bereits existierende Streit zwischen Papierliebhabern und Profi-Redakteuren, ob denn die gesamte Anleitung eine „Sicherheitsinformation“ sei, vermutlich nun doch fortgeführt und die Verordnung bietet keine grundsätzliche „Streitschlichtung“. Dass die bisherigen meist vielsprachigen Sicherheitsinformationen (besonders bei Massenprodukten) meist wenig tauglich sind, den Anwender nutzungsgerecht zu erreichen, wird auch die neue Verordnung leider nicht verhindern.

Die generelle Formulierung zur Anleitungsgestaltung ist beibehalten worden:

„The instructions for use and information shall be in a language which can be easily understood by users, as determined by the Member State concerned and shall be clear, understandable, intelligible and legible.“(Deutsch: klar, verständlich, nachvollziehbar und lesbar)

Eigentlich wäre es viel besser, die Grundsätze und Leitlinien der Norm ISO 24495-1 „Einfache Sprache“ zu nennen:

  • Grundsatz 1: Die Leser erhalten, was sie brauchen (relevant).
  • Grundsatz 2: Die Leser können leicht finden, was sie brauchen (auffindbar).
  • Grundsatz 3: Die Leser können leicht verstehen, was sie finden (verständlich).
  • Grundsatz 4: Die Leser können die Informationen einfach verwenden (brauchbar).

Das Thema Anleitung wird dann inhaltlich spezifiziert im Anhang, Annex III, innerhalb des Abschnitts 1. ESSENTIAL HEALTH AND SAFETY REQUIREMENTS und dem Unterabschnitt 1.7. INFORMATION, schließlich im Abschnitt 1.7.4. Instructions for use (ab Seite 153).

Ungelöst, weil unverändert, bleibt die Frage, warum nur für Maintenance (Wartung) eine Abweichung vom Prinzip „Sprache des Verwenderlandes gilt.

„By way of exception from Article 10(7), the maintenance instructions intended for use by specialised personnel mandated by the manufacturer or his or her authorised representative may be supplied in only one official language of the Union which the specialised personnel understand.”

Die gleiche Logik, dass nur der Hersteller gewisse Tätigkeiten ausführen darf, gilt bei komplexen Maschinen oft auch für Transport, Installation und Abbau. Dazu sagt die Verordnung nichts.
Außerdem werden die Information zu Tätigkeiten, die nur der Produkthersteller ausführen darf, üblicherweise nicht in die Betriebsanleitung für den Kunden aufgenommen. Auch hierzu sagt die Verordnung nichts. Ein fataler Mangel!

Weitere Details zu Inhalten von Anleitungen gibt die Verordnung dann für besondere Produkte:

  • 2.1.2. Instructions for use (machinery and related products for foodstuffs and machinery and related products for cosmetics or pharmaceutical products) (S. 162)
  • 2.2.1.1. Instructions for use (portable hand-held or hand-guided machinery or related products) (S. 163)
  • 2.2.2.2. Instructions for use (Portable fixing and other impact machinery or related products) (S. 165)
  • 2.4.10. Instructions for use (machinery or related products for plant protection products application) (S. 169)
  • 3.6.3. Instructions for use (supplementary essential health and safety requirements to offset risks due to the mobility of machinery or related products) (S. 187)
  • 4.4. instructions for use (supplementary essential health and safety requirements to offset hazards due to lifting operations) (S. 200)

Die Formulierungen zu den Inhalten sind weitestgehend die gleichen wie in der alten Richtlinie. Ich haben allerdings die Inhalte nicht geprüft.

Die Unterscheidung bei den verschiedenen Produkten ist mit Blick auf Anleitungen eher fragwürdig: Meist wird wiederholt, was sowieso grundsätzlich gefordert wird und dann verknüpft mit jeweils produktspezifischen Inhalten.
„Richtlinienfetischisten“ seien gewarnt: Die Inhalte einer Anleitung werden maßgeblich durch die produktspezifische Risikoanalyse bestimmt (Pflicht des Herstellers!) und nicht irgendeinem aufgeführten „Spiegelstrichtext“ in der Verordnung!

Zwei generelle Neuerungen für Anleitungen fallen auf:

  1. Die EU-Konformitätserklärung ist zwar wie bisher eine Komponente der Anleitung, aber sie kann in der Anleitung „nur“ als reine Internet-Adresse oder QR-Code genannt sein:
    „the EU declaration of conformity, or the internet address or machine readable code, where the EU declaration of conformity can be accessed, in accordance with Article 10(8)
  2. Die praktisch unsinnige Unterscheidung zwischen „Originalbetriebsanleitung“ und „Übersetzung der Originalbetriebsanleitung“ der alten Maschinenrichtlinie ist endlich entfallen. Details hierzu siehe in meinem Blockbeitrag "Es geht voran: Die neue Maschinenverordnung in der letzten Abstimmungskurve – leider mit Verschlimmbesserungen"

Der finale Kompromissvorschlag der Maschinenverordnung hat leider die von mir bereits genannten Verschlimmbesserungen, wenn auch in abgemilderter Form beibehalten.
Wir werden wohl damit leben müssen.

Insgesamt ist das Dokument ein Moloch von 246 Seiten und durch endlose Wiederholungen unnötig aufgebläht. Durch eine digitale Zertifizierung ist das Dokument zwar gegen Veränderung geschützt, Grundsätze einer ergonomischen Information für eine bestimmte Fachzielgruppe werden allerdings in keiner Weise erfüllt – das ist leider EU-typisch. Von der unsinnigen Durchnummerierung von Kapiteln, Abschnitten, Artikeln und Spiegelstrichen, unklaren Überschriften bis hin zu fehlenden Lesezeichen – das Dokument zeigt fast jeden Fehler, wie man Anleitungen unbedingt nicht gestalten sollte.

So entspricht die Maschinenverordnung keiner noch so wohlwollenden Vorstellung von „Plain Language“ wie sie in der Norm DIN ISO 24495-1 „Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien (ISO/DIS 24495-1:2022)“ gefordert ist. Die Norm spiegelt übrigens lediglich wider, was in den USA im „Plain Writing Act of 2010“ längst „gesetzlichen Charakter“ hat (Details siehe https://www.plainlanguage.gov/.)

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