Es geht voran: Die neue Maschinenverordnung in der letzten Abstimmungskurve – leider mit Verschlimmbesserungen

Quelle des neuen Entwurfs:
Search results – Consilium (europa.eu)

Es geht voran: Die neue Maschinenverordnung liegt wohl in der „letzten Abstimmungskurve“.

Gegenüber dem vorliegenden Entwurf COM (2021) 202 final vom 21.04.2021 liegen einige Änderungen vor, und zwar unter 2021/0105 (COD)
Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on machinery products

Die mit Doku-Augen wichtigsten Änderungen sind:

  • Aus „Maschinenprodukt“ wird generell wieder „Maschine“ und allgemein „Produkte“, die unter diese Verordnung fallen.
  • Aus „instructions for user“ wird „instructions“.
  • Die Formulierung „beifügen“ (to accompany) für Anleitungen wurde beibehalten, und das bei der generellen Erlaubnis der „nur digitalen“ Auslieferung einer Anleitung per Download. Wenn das nicht ein „Schuss vor den Bug“ der Papier-Argumentations-Akrobaten ist, was dann? Wie viele „Experten“ hatten argumentiert, „beifügen“ könne man nur ein physikalisches Objekt … Das Thema ist erledigt, so wie von itl schon seit Jahren argumentiert wurde.
  • In der aktuellen Version des Entwurfs zur neuen Maschinenverordnung ist noch der Satz zu finden:
  • „“The instructions accompanying the machinery product shall be either ‘Original instructions’ or a ‘Translation of the original instructions’, in which case the translation shall be accompanied by the original instructions.” In den Review-Dokumenten 2021/0105 (COD) ist dieser Satz ersatzlos gestrichen:

Das wäre ja mal ein echter Fortschritt, entbehrt die Begründung für diese Unterscheidung fast jeder Logik. Falls der Hersteller für einen EU-Markt keine Übersetzung geliefert hat, kann so ein Importeur ggf. eine eigene Übersetzung veranlassen und muss sie entsprechend kennzeichnen. Dann muss neben der Übersetzung auch ein Original des Herstellers beigelegt werden. Doch was bringt das einem Kunden, der der Sprache des zusätzlich beigelegten Originals nicht mächtig ist?

Selbst im Guide wurde über die unsinnigen Konsequenzen dieses Vorgehens nicht nachgedacht: Was ist, wenn die „nicht autorisierte“ Übersetzung möglicherweise einen für Anwender lebensgefährlichen Fehler enthielte, wäre dann der Hersteller von einer Produkthaftung befreit?

Gilt so eine Übersetzung nur vorübergehend, bis der Hersteller ein übersetztes „Original beilegt“? Alle diese Themen wurden bis heute in den Guides zur Maschinenrichtlinie ausgeklammert. 

Nun scheint der Satz endlich ersatzlos gestrichen worden zu sein, das wäre ein echtes Stück mehr sinnvolle Klarheit!

Aber folgende Info im Review zum Entwurf der neuen Maschinenverordnung stellt eine Verschlimmbesserung dar:
“The manufacturer should ensure that distributors can provide, upon request of the purchaser at the time of the purchase or up to 6 months, the instructions in a paper format free of charge.”
„Free of charge halte ich für einen völligen Unsinn, der nur zeigt, was man von der Doku hält, nämlich nichts! 
Von keiner einzigen Schraube wird gefordert, dass sie aus Sicherheitsgründen umsonst mitgeliefert werden müsse. 
Die „Entscheidung bis zu 6 Monate nach Kauf“ verstärkt den ökonomischen Unsinn noch.

“economic operators should ensure that all relevant documentation, such as the user's instructions, whilst containing precise and comprehensible information, is easily understandable, takes into account technological developments and changes”
Die unsinnige Formulierung der „doppelten Verständlichkeit“ wurde beibehalten: Die Anleitungen müssen nicht nur „comprehensible“, sondern auch „easily understandable“ sein. In einer Übersetzung könnte man am ehesten noch verstehen: Die Informationen müssen „irgendwie nachvollziehbar“ und „leicht verständlich“ sein.

“When machinery products subject to this Regulation are made available on the market in packages containing multiple units, the instructions and information should accompany the smallest commercially available unit”
Das stammt noch aus der Papierzeit: Nun muss man Papier nicht mehr unbedingt dem einzelnen Produkt beilegen. Aber bei einer digitalen Anleitung ist dieser Satz doch sinnfrei, oder?

Die wichtigste Formulierung zu Anleitungen lautet nun:
“When the instructions are provided in digital format, the manufacturer shall:
(a) mark on the machinery or related product and in an accompanying document how to access the digital instructions

(b) present in a format that makes it possible for the user to download the instructions and save them on an electronic device so that he or she can access them at all times, in particular during a breakdown of the machinery or related product. This requirement also applies where the instructions are embedded in the software of the machinery or related product.

(c) make them available accessible online during the expected lifetime of the machinery or related product and not less than 10 years after the placing on the market of the machinery or related product.”

Unter (a) stand ursprünglich „paper document“. Das Wort „Paper“ wurde gestrichen, Bedeutung?
(b) bedeutet, dass eine Information zusätzlich unabhängig vom Produkt zugreifbar und downloadbar sein muss.
HTML-Lösungen müssen dann gesondert geprüft werden, dass sie im lokalen Datei-Modus (d.h. ohne http-Verbindung) mit allen gängigen Web-Browsern überhaupt funktionieren: Diese Prüfung betrifft u. U. bestimmte JavaScripts und Videoformate.

(c) besagt, dass ein Download mindestens 10 Jahre funktionieren muss (bzw. während der Produktlebenszeit).

Nun kommt die schlimmste Formulierung im neuen Entwurf:

“In the case of a machinery or related product intended for use by non-professional users or which can, under reasonably foreseeable conditions, be used by non-professional users even if not intended for them, the manufacturer shall provide in paper format the instructions safety information that are essential for putting the machinery or related product into service and for using it in a safe way”
Diese neue Formulierung öffnet dem Papier-Chaos Tür und Tor. Muss dann die gesamte Anleitung doch wieder auf Papier beigefügt werden, nur weil das „gewerbliche Produkt“ direkt auch von Nichtprofis gekauft und genutzt werden kann, obwohl für diese gar nicht vorgesehen?
Ich frage mich, welche Personen, mit welchem Praxishintergrund der Gesamtsituation der Produkte auf dem Markt solche Sätze formulieren. 
Die genannten Nichtprofis nutzen heute schon nur noch YouTube! Eine Papieranleitung ist weitgehend unsinnig für diese Anwendergruppe.

“The instructions and information shall be in a language which can be easily understood by users, as determined by the Member State concerned and shall be clear, understandable, intelligible and legible:”
Die Worte kann man alle mit „verständlich“ übersetzen oder besser wie DeepL: klar, verständlich, nachvollziehbar und lesbar. Lassen wir die Frage nach der überflüssigen Redundanz. 
Warum schreiben die Autoren nicht, dass die Informationen auch ergonomisch nutzbar sein müssen nach anerkannten Regeln der Ergonomie? 
Warum machen sich die Autoren nicht endlich „Plain Language“ zu eigen und fordern die Erfüllung der folgenden Grundsätze, die in einer neuen Norm genannt sind
Deutsch: DIN ISO 24495-1:2022-06, Englisch: ISO/DIS 24495-1:2022 Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien:
Grundsatz 1: Die Leser erhalten, was sie brauchen (relevant)
Grundsatz 2: Die Leser können leicht finden, was sie brauchen (auffindbar)
Grundsatz 3: Die Leser können leicht verstehen, was sie finden (verständlich)
Grundsatz 4: Die Leser können die Informationen einfach verwenden (brauchbar)
Dann wäre der Anwenderwelt endlich wirklich geholfen.

Immerhin: Endlich wird auch die Konformitätserklärung formell als digitales Dokument per Internet-Link erlaubt, den man in den Anleitungen dann entsprechend nennt.
Die eigentlichen inhaltlichen Informationserfordernisse sind weitestgehend gleich geblieben. 
Das ist ja auch klar: Die vorausgesetzte Risikobewertung kann ja nicht neue Ergebnisse bringen, nur weil ein Gesetz neu formuliert wurde.

Fazit: Der Weg zur Digitalisierung der Nutzungsinformationen ist endlich offen, aber manche Details insbesondere bei der „versteckten Papierpflicht“ werden den Praktikern noch einige Kopfzerbrechen bereiten. Leider ist so der Entwurf der Maschinenverordnung noch einmal „verschlimmbessert“ worden.
 

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