E-Learning, Technische Dokumentation oder doch einfach nur Content – Ein Vergleich

1. Von Anfang an digital

Der Blog-Artikel meines Kollegen Dieter Gust beginnt mit einer Anekdote zum Thema Buchdruck – und das aus guten(berg‘schen) Grund. Ein grobes Fazit im Bereich der Technischen Dokumentation mag sein, dass die Technik des Buchdrucks noch heute relevant ist, auch wenn wir immer weiter digitalisieren.

Ein Bereich, der sich erfolgreich vom Buchdruck losgelöst hat, ist das E-Learning. Doch E-Learning hatte einen entscheidenden Vorteil: Die Loslösung erfolgte schon bei der Geburt des Themas. Digital, virtuell und online sollten Lerninhalte zur Verfügung gestellt werden, damit sie überall und jederzeit für alle nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehen. Der Sprung zu unterschiedlichsten Medien wurde dem Thema in die Wiege gelegt. Denn schon bevor es den Begriff E-Learning gab, etablierten sich Videos in Unternehmen als eine weitere Möglichkeit der Informationsvermittlung für interne Zwecke – später folgten Videoplattformen und Social Media.

Schaut man als Ersteller Technischer Dokumentation auf das Thema E-Learning, wird man fast etwas neidisch. Digital, multimedial, oftmals mit Voice-Over und sogar das Marketing beteiligt sich am Budget. Und all das darf ohne die Regulierungen ablaufen, die etwa für die Technischen Dokumentation gelten. Oder?

2. Redakteure, ihr erstellt schon Content für E‑Learning

Dabei gibt es gar nicht so viele Gründe, neidisch zu sein. In einem Gespräch mit meinem Branchenkollegen Michael Schemies (ascodo GmbH) stimmten wir darin überein, dass beide Bereiche sich anscheinend wenig bis gar nicht kennen, obwohl sie doch verwandt sind – ja teilweise sogar identisch. Handlungsanweisungen unterstützt durch Grafiken, Videos mit einzelnen Schritten, Content Management Systeme, Metadaten und vieles, vieles mehr – all das wird auch beim E‑Learning genutzt. Auch hier zeigt sich der anhaltende Trend, nicht mehr von Dokumenten, Datenblättern, Datentabellen oder E‑Learning-Inhalten zu sprechen, sondern von Content!

3. Von Lernportalen zu Micro Learning

Content im Bereich von E-Learning ist in verschiedenen Größenordnungen aufbereitet. Die größten und aufwändigsten Formen sind meist E-Learning-Plattformen und komplette Webinarreihen. Nutzer, sowie Content-Ersteller investieren mehrere Stunden für Konsum und Erstellung.

Aber dabei sind es gerade kleine Formate, die oft nicht als E-Learning-Content wahrgenommen werden. Wir sprechen hier vor allem vom Micro Learning. Dies umfasst etwa einzelne, kurze Lehrvideos, etwa ein einzelnes Video zur Montage eines Autoreifens.

Aber auch ein einfaches Quiz wäre denkbar. Schließlich können Nutzer auch ohne vorheriges Lernen direkt an Ihren richtig und falsch beantworteten Fragen schon Wissen ableiten.

Weniger auffällig sind etwa Infografiken oder einzelne interaktive Elemente in sonst E-Learning-fremden Umgebungen. Ein Beispiel wäre eine Kategorie, die sich auch heute noch hartnäckig in der Technischen Dokumentation hält. Dort bedient sie, vermutlich oft ungeplant, den Lernaspekt. Gemeint sind Kategorien, wie „Tipps und Tricks“ oder etwa „Schon gewusst?“. Und auch hier merkt man, dass beide Bereiche sehr schnell ineinander übergehen können.

4. Die Grundprinzipien des E-Learnings

Das Grundprinzip des E-Learnings steckt, anders als bei der Technischen Dokumentation, schon im Namen: Lernen. Dafür baut E-Learning auf 4 Säulen auf:

  • Multimedialität
  • Multimodalität
  • Multicodalität
  • Interaktivität

4.1. Multimedialität

Schauen wir uns die Multimedialität an, stellen wir fest, dass dies zumindest in der Gegenwart auch auf die Technische Dokumentation zutrifft. In der Vergangenheit galten Dokumente vor allem als rechtliche Absicherung. Hierfür wurde dann die von Juristen präferierte Papierform gewählt.  Die Zeit, in der Technische Dokumentation nur als rechtliche Absicherung galt, ist allerdings vorbei – meistens jedenfalls. Wir Redakteure sind bestrebt, dem Nutzer die Information so darzustellen, dass er sie bestmöglich aufnehmen kann. Multimedialität ist nicht zuletzt eines der treibenden Argumente beim Umstellen auf HTML5-Informationssysteme. Schließlich wollen wir alle Vorteile der Medien nutzen: Präzise Informationen im Text, schnelle Informationsvermittlung per Grafik, Kontext- und Ablaufinformationen im Video oder auch die Interaktivität im 3D-Modell.

4.2. Multimodalität

Fast auf derselben Linie verfährt die Multimodalität. Durch verschiedene Medien sollen verschiedenste Sinne angesprochen werden. Zugegeben: In der Technischen Dokumentation finden wir überwiegend die rein visuelle Information. Vertonung gilt in einigen Bereichen als eher untypisch. Und doch gibt es sie. Für den reinen Anwendungsfall des Anweisens oder Anleitens wird diese aber wohl eher aus Komfortgründen genutzt.

Im Bereich des E-Learnings ist die Vertonung eine feste Größe. Mehrere Sinne anzusprechen ist ein wesentlicher Aspekt in der Nutzungskategorie des Lernens. Schließlich sollen hier Informationen längerfristig gespeichert werden. Worte sollen lange in den Ohren nachklingen.

Auch bei unseren hauseigenen Seminaren sprechen wir gerne mehrere Sinne an. So legt mein Kollege Thomas Emrich in seinem Seminar „Visuelle Technikkommunikation: Bildanleitungen entwickeln“ Wert darauf, dass Sie die Produkte, die Sie beschreiben, auch in die Hand nehmen können. Selbst jetzt, in Zeiten der rein digitalen Webinare, erhalten Sie z. B. eine Wetterstation zu sich nach Hause. Aber für den Redakteur ist auch dies nichts Neues. Anfassen, Produkte selbst testen und die eigene Anleitung am Produkt durchspielen gehören zu den grundlegenden Aufgaben der Technischen Redaktion. Auch wenn dies in Zeiten von digitalen Zwillingen nicht immer möglich ist, wird haptische Interaktion doch von jedem Redakteur wertgeschätzt.

4.3. Multicodalität

In der Technischen Dokumentation überlegen wir sehr genau, wie ein Sachverhalt, eine Information, dargestellt werden soll. Wir suchen den einen, pragmatischen und leicht verständlichen Weg. Dies verpacken wir noch multimedial und dann ist aber auch Schluss.

Beim Lernen ist das anders. Durch unterschiedliche Methoden soll das zu lernende Wissen aufgebaut und trainiert und letztlich auch geprüft werden. Eine Anweisung ist im Idealfall schnell zu erfassen und muss nur befolgt werden. Beim E-Learning soll das Wissen dagegen abseits des E-Learnings und im Idealfall noch auf weitere, ähnliche Sachverhalte angewendet werden können. Eine Methode ist dabei die schon angesprochene Multimedialität. Durch Wiedererkennung, Darstellung von Zusammenhängen und Prozessen soll der Sachverhalt vollumfänglich erfasst und gelernt werden. E-Learning bedient sich hier aber weiterer Methoden, wie etwa Kontrollfragen. Eine moderne Art der Kontrollfragen bietet die virtuelle Welt. Dort reicht es nicht, allein durch Wissen zu glänzen, sondern Sie dürfen Ihr Wissen auch gleich anwenden:

Die Schraube B soll mit einem Drehmoment vom 20 Nm angezogen werden. Wissen Sie noch, wo diese Schraube war und wie Sie diese erreichen? Na, dann beweisen Sie es doch gleich!

4.4. Interaktivität

Und genau an diesem Punkt kommen wir zur 4. Säule des E-Learnings. Interaktiv bedeutet nicht, eine Handlungsanweisung umzusetzen. E-Learning nutzt die Interaktivität gezielt, um Wissen zu festigen, bevor eine Handlung tatsächlich durchgeführt wird. Kontrollfragen oder ein Quiz und virtuelle Welten sind dabei nur zwei Möglichkeiten. Eine dritte, bereits angeschnittene Möglichkeit ist das Anfassen und Probieren. Hierzu überschreiten wir die Grenzen des Virtuellen und begeben uns wieder in die haptische Welt. E-Learning wird sehr gerne auch mit Präsenzterminen kombiniert. Man spricht hier von „Blended Learning“.

Virtuelle Anteile werden durch Vor-Ort-Termine unterstützt oder umgekehrt. Gerade im Bereich der Produktschulungen ist dies eine gern genutzte Methode. Durch E-Learning werden die Lehrkräfte entlastet und Wissen wird einheitlich und effizient einer breiten Zielgruppe zur Verfügung gestellt. In den Präsenzterminen können die Teilnehmer ihr Wissen am realen Produkt testen und vom Erfahrungsschatz der Lehrkräfte profitieren.

5.1 Voneinander profitieren

Die vielen Gemeinsamkeiten des E-Learnings und der Technischen Dokumentation legen nahe, dass man durch einen gemeinsamen Projektstart und Wiederverwendung von Content wirtschaftlich und bei der Informationsqualität stark profitieren kann. Bei der itl AG nennen wir dies die duale Redaktion.

Der Informationsbedarf für die Content-Erstellung in beiden Bereichen deckt sich nahezu komplett. Eine doppelte Recherche wäre demnach höchst ineffizient. Wie angeführt, decken sich auch viele Bereiche des Contents. Ja sogar bei der Multimedialität profitieren beide Bereiche voneinander. Als Nebeneffekte entstehen eine einheitliche Sprache und ein einheitlicher Stil. Apropos Sprache: Auch Terminologiearbeit gehört in beide Bereiche.

5.2 Voneinander trennen

Schon eingangs plädierten Michael Schemies und ich für eine Auflösung der Unterscheidung eines Redakteurs für E-Learning oder für Technische Dokumentation, denn beide Berufsgruppen machen wie alle Content-Ersteller das Gleiche: zielgruppenorientierte und -gerechte Informationserstellung. Dies könnte in eine Bezeichnung Technischer Content-Ersteller münden.

Und doch mahne ich zur Vorsicht. Anweisen und Lernen sind zwei voneinander getrennte Nutzungskategorien mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen. So darf E-Learning nicht ohne Anweisungen aus der Technischen Dokumentation zum Handeln genutzt werden. Es fehlen, neben Methoden bei der Informationsvermittlung, sehr oft die nötigen Sicherheitsaspekte. Sicherheits- und Warnhinweise spielen beim E‑Learning eine andere Rolle als in der Technischen Dokumentation, in welcher Schutz von Leben und Gesundheit nicht zuletzt durch Gesetze gefordert wird. Sind sie beim E‑Learning sicher eine sinnvolle Anforderung an die Vollständigkeit, so sind sie in der Technischen Dokumentation eine grundlegende Anforderung.

Auch ist die Informationsvermittlung in der Technischen Dokumentation wesentlich geradliniger und auf den Moment der Handlung ausgerichtet. Im Bereich des E-Learnings verwenden wir durch verschiedene Methoden Aufwand, Zeit und dadurch auch Aufmerksamkeit der Nutzer, um Wissen aufzubauen. Diese Ablenkung darf es beim Anweisen nicht geben.

E-Learning und Technische Dokumentation lernen voneinander, leben miteinander, bleiben aber für den Nutzer immer individuell.

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