Die „Top 11“: Jenseits der Normen und Richtlinien für die Technische Dokumentation (Teil 3)

Verordnungen haben auch ohne Umsetzung in nationale Gesetze einen gesetzlichen Charakter. Die Verordnung 207/2012 betrifft unseren Bereich zwar nicht unmittelbar, aber sie ist hier ergänzend genannt, weil die Vorteile einer elektronischen Anleitung endlich auch „behördlich“ thematisiert wurden. Dieses Fähnchen wollen wir unbedingt hochhalten, auch wenn diese Verordnung aus dem medizinischen Kontext (noch) ohne juristische Belastbarkeit für die Technische Dokumentation ist. Sie gibt der Hoffnung Anlass, dass der dringend nötige Paradigmenwechsel nun wenigstens nicht mehr pauschal durch eine vermeintlich unbedingte Papierpflicht behindert wird.

Wohl auf Druck der Medizingeräteindustrie wagte die EU-Kommission einen ersten Schritt, das Thema der Zurverfügungstellung von rein elektronischen Anleitungen in eine Verordnung umzusetzen und erschuf die „VERORDNUNG (EU) Nr. 207/2012 DER KOMMISSION vom 9. März 2012 über elektronische Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte“.

In der Verordnung 207/2012 findet sich die erfreuliche Erkenntnis:

„Das Vorliegen von Gebrauchsanweisungen für einige Medizinprodukte in elektronischer Form statt in Papierform könnte für professionelle Nutzer von Vorteil sein. Umweltbelastung kann dadurch vermieden und die Wettbewerbsfähigkeit der Medizinprodukteindustrie durch die Kostenersparnis verbessert werden, während gleichzeitig das Sicherheitsniveau beibehalten oder angehoben wird.“

Allerdings verlangt die Verordnung bei entsprechenden Anfragen weiterhin zusätzlich die jederzeitige Bereithaltung von kostenlosen Anleitungen in Papierform.

Mit dieser „Richtlinie“, die im juristischen Sinne eigentlich keine ist, sondern eher ein Leitlinienmodell, will die tekom einen Beitrag dazu leisten, die bedarfsgerechte Wahl geeigneter Medien für eine intelligente Bereitstellung von Nutzungsinformation zu ermöglichen. Bisher wurde auch seitens einiger tekom-Experten in den Foren die Notwendigkeit einer gedruckten Dokumentation regelrecht überbetont. Erstmals dokumentiert diese eDok-Richtlinie den Sinneswandel auch in einer tekom-Schrift:

  • Die bisherigen Begründungen für eine unbedingte Papierpflicht spiegeln nicht mehr den Stand der Technik wider.
  • Die Maschinenrichtlinie trifft keine Aussage zur Form der Betriebsanleitung.
  • Der bisherige „allgemeine Konsens“ klammert Geräte aus, die über einen eigenen Bildschirm oder über einen Bildschirm plus Internetverbindung verfügen.
  • Die ergänzende elektronische Bereitstellung wird begrüßt. Die Vorteile werden gesehen.

Die eDok-Richtlinie fordert ein umfassendes Informations- und Medienkonzept, wie es in den folgenden Umsetzungsschritten für elektronische Dokumentation dargestellt ist:

Die Darstellung des Medienkonzepts beschränkt sich in der Richtlinie auf Folgendes:

  • Betonung der Erweiterung der Risikoanalysen um eine Bewertung des künftigen adäquaten Dokumentationsmediums
  • Auflistung der Vor- und Nachteile von elektronischer Dokumentation
  • Erweiterung der bekannten Benutzer-Aufgaben-Matrix um eine Spalte mit der Empfehlung zum geeigneten Medium, z. B. Videos statt Text

Das von itl entwickelte Modell m-ISD (multimediales Information-Struktur-Design) stellt eine sinnvolle Ergänzung zur eDok-Richtlinie der tekom dar.

Ausgehend von der Zielgruppenanalyse und der Zweckdefinition einer Dokumentation, bei itl unter dem PentaQuest-Modell zusammengefasst, formuliert m-ISD ein Zusammenspiel aus folgenden Themen:

  • Kategorisierung der zu präsentierenden Informationen nach Nutzungskategorien. Entsprechend den Nutzungskategorien lassen sich die Schlüsselaspekte des Medienkonzepts konkretisieren.
    • Nachschlagen (überfliegendes Lesen/Skimming und Scanning. Ziel: schnelles Handeln am Produkt)
    • Juristische Absicherung (Text gedacht als Absicherung bei juristischen Auseinandersetzungen: Die Zielgruppe sind Juristen und nicht der Anwender)
    • Lernen (vertiefendes Lesen und Lernen durch Üben. Ziel: Wissenserweiterung)
    • Emotion (werbliche und motivierende Informationselemente)
  • Schlüsselaspekte des Medienkonzepts für elektronische Dokumentation. Unserer Meinung nach ergänzen und operationalisieren diese Schlüsselaspekte die Merkmale aus den wichtigsten Ergonomienormen der 9241-Reihe, insbesondere auch mit Blick auf mobile Endgeräte:
    • Eingangskanal: Welche Sinnesansprache ist optimal für die jeweilige Umsetzung der Information? Die Basis für eine Beurteilung sind nun Topics. (Papier-)Seiten und (Buch-)Abschnitte spielen online keine Rolle mehr.
    • Interaktion: Welche Form der Interaktion bietet den besten Zugriff auf die Informationen im Nutzungskontext? Bei einer weitergehenden Operationalisierung stehen besondere Usability-Funktionen im Mittelpunkt, wie z. B. Pinch-to-Zoom-Funktion, Volltextsuche, Navigationskonzepte usw.
    • Format: Welche Dateiformate für Text, Video, Bild, Audio sind geeignet?
    • Medium: Welche Plattform und Bildschirmgrößen bilden die entscheidenden Randbedingungen für die Informationsdarstellung? Kann ein Responsive Design alle definierten Medien zufriedenstellend abdecken?
    • Ort (Zugriff): Welche Infrastruktur, lokal bzw. via Internet, ist verlässlich für die Bereitstellung der Informationen und deren performanten Nutzung planbar?
    • Kann/muss man darüber hinaus kontextbezogene Produktzustände berücksichtigen, um kontextsensitive Informationen liefern zu können? Für diesen Punkt hat sich eine tekom-Arbeitsgruppe gebildet, die einen Standard definieren möchte, um kontextbezogene Informationen leichter und herstellerübergreifend bereitstellen zu können, siehe dazu iiRDS.

Grafisch lässt sich das m-ISD-Konzept als Beispiel für eine weitergehende Operationalisierung der Nutzungskategorie „Nachschlagen“ etwa so darstellen:

Bei der Planung einer Online-Dokumentation sind die Use Cases zum Thema Nachschlagen und im Detail die einzelnen Aktionen und geeigneten technischen Funktionen bei Weitem noch nicht als allgemein bekannt anzusehen. Interessant ist, dass bei Online-Dokumentation emotionale Aspekte aus Sicht der Zielgruppen eine weit größere Rolle spielen als bei klassischer gedruckter Dokumentation.
Auf Wunsch stellen wir gerne auch weiterführende Informationen zu m ISD zur Verfügung.

Noch Fragen? Kontaktieren Sie Andrea Wagner

Abteilungsleitung Technische Dokumentation  

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