Autorenunterstützung: Wenn Sprache King ist

Die Anforderungen an Technische Redakteure sind hoch. Diese umfassen die korrekte Beschreibung von komplexen Maschinen, Wissen um und Einhaltung von Gesetzen und Normen, ansprechende Gestaltung und – last but not least – zielgruppenadäquates Wording (oft) mit formalen Regeln für den Schreibstil oder „kontrollierte Sprache“. Was bedeutet „kontrollierte Sprache“ für Technische Redakteure, welche speziellen Anforderungen gilt es zu erfüllen und welche Autorenunterstützung kann bestehende Systeme ergänzen?

Gute Technische Dokumentation vermittelt einer klar definierten Zielgruppe die notwendigen Informationen für bestimmte Aufgabenstellungen in verständlicher und benutzerfreundlicher Form. Da ist kein Platz für „schönes“ kreatives Deutsch.

  • Gute Technische Dokumentation muss „langweilig“ geschrieben sein. Konkret bedeutet das: Die Sprache in der Technischen Dokumentation vermeidet das Wechseln von Sequenzmustern zur Erhöhung der Lesespannung, braucht kein Spiel mit der Sprachrhythmik zum „farbigeren“ Lesen und kennt auch kein Variieren von Begriffen bzw. kein „Salz in der Sprachsuppe“ durch Verwendung vieler Adjektive.
  • Gute Technische Dokumentation benutzt eine zielgruppengerechte Sprache. Das bedeutet, dass Technische Redakteure Vorwissen und sprachliche Kenntnisse ihrer Zielgruppe berücksichtigen. Ansonsten gilt das Prinzip: so kurz wie möglich, so „eintönig“ wie möglich und fast immer gemäß der Struktur „Subjekt-Prädikat-Objekt“.

Diese strengen Grundsätze einer kontrollierten Sprache stoßen jedoch bei Marketingabteilungen naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Doch Technische Dokumentationen werden völlig anders als Werbebroschüren oder Romane gelesen: Bei einer Anleitung muss ein Anwender nicht motiviert werden. Eine Anleitung wird konsultiert, wenn der Anwender ein Problem hat, das er so schnell wie möglich lösen will. Jegliche emotionale, klassisch marketingorientierte Informationen zum Aufbau einer persönlichen Beziehung zum Kunden wirken hier kontraproduktiv.

Neue Trends zeigen allerdings, dass zusätzlich zum klassischen Handbuch auch Tutorials und dokumentierte Use-Case-Beispiele nachgefragt werden. Bei diesen Informationen wünschen sich Anwender einen deutlicheren, auch emotionalen, Bezug zu ihrer konkreten Anwendungssituation. Genau bei dieser Art von Informationsübermittlung kann auch das Marketing eingebunden werden, sodass ein sinnvolles Gesamtkonzept der Kundenkommunikation entwickelt werden kann. Dieser Ansatz wird mit dem relativ neuen Begriff „Tone of Voice“ beschrieben.

„Tone of Voice“ gibt vor, wie Texte „klingen“ sollen. Dieser Oberbegriff für alle Stilmittel ersetzt einerseits den teilweise abschreckenden Begriff der kontrollierten Sprache und betont anderseits die Regeln, die über die kontrollierte Sprache hinausgehen.

  • Auf den ersten Blick bleiben die Anforderungen verschiedener Abteilungen zum Thema Sprache unterschiedlich. Andererseits empfehlen wir in unseren Seminaren für Technische Redakteure schon seit Langem die aktive Formulierung von Sätzen und die direkte Ansprache des Lesers durch Verwendung der „Sie“-Form. Damit wollen wir gerade die Vorstellung einer konkreten menschlichen und freundlichen Kommunikation betonen. Tone of Voice hat demnach bereits Eingang in die Welt der Technischen Kommunikation gefunden.

Die wichtigste Norm für die Technische Dokumentation DIN EN IEX/IEEE 82079-1 gibt in der neuen Edition 2 das Ziel einer kontrollierten Sprache nun konkret normativ vor:

  • Minimalismusprinzip: Anleitungen müssen kurz sein
  • Terminologie muss als Begleitprozess etabliert sein
  • Prägnanz, Konsistenz und Verständlichkeit: sind zu erfüllende „Muss-Kriterien“

Für die Umsetzung dieser Anforderungen erhalten Technische Redakteure Styleguides (Redaktionsleitfaden). Das sind firmeninterne Vorschriften, in denen in komprimierter Form Empfehlungen sowie die wichtigsten formalen Regeln für den Schreibstil einer Dokumentation festgehalten sind. Die Empfehlungen und Reglementierungen der Formulierungen (kontrollierte Sprache) betreffen genau jene Bereiche, die mit einem System für Autorenunterstützung abgedeckt werden können.

Für Interessierte hier ich noch ein paar Literaturtipps zum Thema kontrollierte Sprache:

  • Deutsch für Technische Kommunikation – Regelbasiertes Schreiben: Praxisleitfaden, der von einer tekom-Arbeitsgruppe erstellt wurde. Enthält unter anderem einen Katalog von etwa 160 Schreib- und Formulierungsregeln, der in die Kapitel Textregeln, Satzregeln und Wortregeln untergliedert ist.
  • Rule-Based Writing – English for Non-Native Writers: Leitlinie mit den wichtigsten Begriffen, Konzepten und Standardisierungsregeln zum Technischen Schreiben in Englisch auf Text-, Satz- und Wortebene.
  • ASD-STE 100: Das bekannteste Regelwerk für eine kontrollierte englische Sprache. Das Dokument ist auf Nachfrage kostenlos erhältlich.
  • Paramedic Method: Die von Richard Lanham entwickelte Methode bietet einen einfachen und auch für die deutsche Sprache gut nutzbaren Ansatz für kontrollierte Sprache.

Der Weltmarktführer bei den Systemen zur Autorenunterstützung Acrolinx hat sein gesamtes Konzept unter den Aspekt „Tone of Voice“ gestellt.

Acrolinx unterscheidet beim „Tone of Voice“ 3 Aspekte:

  • technisch wortreich, nach innen gerichtet
  • sachlich, kurz und bündig
  • informell, nicht technisch

Für eine Kommunikation nach außen müssen zwei Faktoren bedacht werden:

  • Fakten (analytische Seite des Gehirns)
  • Ton (kreative Seite des Gehirns)

Zur Prüfung eines Textes wird der Adrolinx Score erstellt, der sich aus folgenden Kategorien berechnet:

  • Clarity Index: Wie verständlich ist der Text geschrieben?
    Neben Satzlänge und Silben pro Wort werden linguistische Phänomene wie Schachtelsätze, komplexe Verbformen, Passiva oder schwierige Wörter berücksichtigt.
  • Informality Index: Wie locker ist der Text geschrieben
    Ein lockerer Schreibstil ist vergleichbar mit gesprochener Sprache. Werden gegenüber der Anzahl von Nomen und Adjektiven vergleichsweise viele Verben und Pronomen verwendet, wird der Text tendenziell als informell bewertet.
  • Liveliness Index: Wie lebhaft ist der Text?
    Lebendiger Text ist mitreißend und einfach zu lesen. Viele Fragen, Ausrufezeichen, Zitate und direkte Ansprache der Leser machen einen Text lebhaft.
  • Flesch Reading Ease: Die klassische Metrik für Verständlichkeit.
    Der Flesch Reading Ease basiert auf der Satzlänge und der Anzahl von Silben pro Wort. Es sollte immer der höchstmögliche Flesch Reading Ease (Stufe 100: 5. Klasse: Text ist sehr leicht lesbar) angestrebt werden.

Übrigens: Der Flesch Reading Ease kann in der englischen Version von Word über die Rechtschreibprüfung als Ergebniszusammenfassung abgerufen werden. Aus meiner langjährigen Erfahrung als Trainer für Technische Dokumentation ist der praktische Stellenwert des Flesch Reading Ease für einen Autor jedoch relativ gering.

Wie so oft ist die Hauptantriebsfeder für kontrollierte Sprache übrigens gar nicht die Verbesserung der Verständlichkeit aus Sicht der lesenden Zielgruppen oder die Verstärkung einer Corporate Identity auf sprachlicher Ebene, sondern die finanziell immer mehr ausufernden Übersetzungskosten für Technische Dokumentation. Allein in der EU muss Technische Dokumentation für Maschinen in bis zu 24 Amtssprachen bereitgestellt werden (welch ein Segen, dass Länder wie Malta auch Englisch als Amtssprache akzeptieren). Wenn also ein Autor „sich soweit kontrollieren könnte“, dass er eine einmal verwendete Formulierung nie wieder variiert, würde das eine gravierende Ersparnis der Übersetzungskosten bedeuten. Doch da kaum ein Mensch automatisch so „monoton“ schreibt – das Schuldeutsch hat uns diese Monotonie mit Notengewalt ausgetrieben – benötigen Technische Autoren Werkzeuge, die sie beim Schreiben „kontrollieren“.

Durch die fortschreitende Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 und sprachgesteuerte Assistenzsysteme wird das Thema „kontrollierte Sprache“ immer mehr an Bedeutung gewinnen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass zwischen Marketing und Technischer Dokumentation kein vermeintlicher Gegensatz definiert wird, sondern das viel beschworene Gesamtkonzept einer effizienten Kundenkommunikation, der „Tone of Voice“ in den Mittelpunkt rückt. 

Noch Fragen? Kontaktieren Sie Andrea Wagner

Abteilungsleitung Technische Dokumentation  

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