YouTube statt Technischer Dokumentation?

Hand aufs Herz: Wer von Ihnen schaut NICHT zuerst auf YouTube nach, wenn er schnell wissen will, wie etwas geht? Vielleicht gibt es ja einen passenden Clip dazu?

Das Portal, welches das Prinzip „User Generated Content“ (UGC) für Videos erstmalig im großen Stil einführte und für alle so radikal vereinfachte, wurde 2005 gegründet und erfreut sich nach gut 10 Jahren einer enormen Beliebtheit.

Auch wenn es zunächst etwas verwundert, aber YouTube ist mittlerweile die zweitgrößte Suchmaschine im Netz. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass mittlerweile viele Anwender, wenn sie etwas wissen möchten, gar nicht mehr auf Google suchen, sondern direkt auf YouTube. Sie suchen also keine Texte, sondern Videos!

Natürlich haben das in den letzten Jahren die allermeisten Unternehmen erkannt und eine Präsenz auf YouTube aufgebaut. Neben diesen offiziellen Kanälen spielt aber nach wie vor „User Generated Content“ eine entscheidende Rolle.

Sieht man sich die Entwicklung der Upload-Zahlen auf YouTube an, so kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: 2015 wurden sage und schreibe pro Minute 400 Stunden Videomaterial von Anwendern hochgeladen. Die Entwicklung des Upload-Volumens der letzten sieben Jahre ist in der folgenden Grafik darstellt:

*) Quelle: YouTube/Statista:
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/207321/umfrage/upload-von-videomaterial-bei-youtube-pro-minute-zeitreihe/

Bei einer so großen Menge verfügbaren Videomaterials im Netz wundert es nicht, dass sich zu sehr vielen Themen bereits Inhalte finden lassen. Und: Je mehr Videomaterial hochgeladen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass Anwender zu den sie interessierenden Themen etwas finden.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus diesem Phänomen für Hersteller bzw. deren Bereiche Dokumentation, Service, Schulung und Aftersales?

Zunächst muss man festhalten: YouTube hat in den letzten Jahren eine so herausragende Stellung eingenommen, dass es nicht sehr klug wäre, einen so mächtigen Distributionskanal zu ignorieren. Oft haben Hersteller jedoch kein gutes Gefühl dabei, Videoclips, die z. T. sehr viel technisches Wissen enthalten, auf YouTube einzustellen. Einerseits sind solche Bedenken aus Sicht der Hersteller sicher berechtigt, andererseits – und das muss man leider konstatieren – mittlerweile etwas weltfremd. Die Frage ist nämlich gar nicht die, ob überhaupt technisches Know-how öffentlich zugänglich gemacht werden soll, sondern vielmehr, wer es tut: Der Hersteller selbst oder irgendein User.

Wer auf YouTube z. B. nach Filterwechsel beim Fahrzeug eines bayrischen Automobilherstellers sucht (hier kann auch jeder andere Automobilhersteller eingesetzt werden), erhält eine Vielzahl an Ergebnissen (am 13. April 2016 um ca. 11:00 Uhr ergab die Suche über 5.500 Treffer). Darunter befinden sich auf den ersten Seiten jedoch keine Beiträge vom Hersteller selbst, und ich vermute auch sonst nicht. Es handelt sich also ausschließlich – oder überwiegend – um User Generated Content wie zum Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=zDrgOO8RrgQ

Vermutlich möchte ein Automobilhersteller nicht, dass die Kunden so etwas selbst machen. Gut möglich auch, dass die Mehrheit der Autofahrer dies wirklich nicht interessiert. Aber schauen Sie sich doch mal die Klicks zu solchen Themen an und ziehen Sie daraus Ihre eigenen Schlüsse. Ohne auf diese Thematik jetzt näher eingehen zu wollen, bestätigen solche Suchergebnisse auf YouTube aus meiner Sicht die These, dass auch wenn Hersteller für eine bestimmte Art von Anleitungen YouTube meiden, die Anwender den entsprechenden Content dazu einfach selbst erstellen. Die Nachfrage erzeugt sich also gewissermaßen selbst das entsprechende Angebot!

Vor diesem Hintergrund kann man Firmen, die Produkte für den Endverbrauchermarkt herstellen, nur dringend empfehlen, YouTube auch für videobasierte Anleitungen aller Art verstärkt zu nutzen und nicht nur für Marketingzwecke. Wie das aussehen könnte, davon soll im Folgenden die Rede sein.

Wie bei allen didaktischen Medien, und dazu kann man professionell gemachte Anleitungsfilme durchaus rechnen, ist es wichtig, sie im Verhältnis zu den Zielen zu beurteilen, die man mit ihnen erreichen möchte.

Oder anders ausgedrückt: Wozu soll ein 5-minütiger Anleitungsfilm auf YouTube letztlich gut sein? Was ist beabsichtigt?

Soll sich der Anwender den Clip anschauen, um anschließend eine (vage?) Vorstellung zu haben, wie es geht, mehr nicht? Oder ist beabsichtigt, dass der Anwender den Clip als konkrete Anleitung verwendet, um den dargestellten Ablauf 1:1 umzusetzen?

Egal wie genau die Anwendersituation zu beschreiben wäre – oft mischen sich auch zwei oder sogar mehrere Nutzungskategorien – bleibt in jedem Fall festzuhalten, dass ein längerer, durchlaufender Videoclip, der sehr viele verschiedene Informationen enthält, den Anwender vor Probleme stellen kann. Die Aufnahmefähigkeit unseres „Arbeitsgedächtnisses“ (Kurzzeitgedächtnis) ist begrenzt, und wir können normalerweise nicht viel mehr als 4 verschiedene Informationseinheiten darin speichern.

Bei komplizierteren Prozeduren stellt sich also die Frage: Wie schafft man es, das benötigte Wissen zur Lösung einer Aufgabe in einen zusammenhängenden Clip zu packen, ohne den Anwender dabei zu überfordern?

Segmentierung in Arbeitsschritte

Das funktioniert nur, wenn es gelingt, die Informationen in für unser Arbeitsgedächtnis verwertbare Portionen zu packen. Alle Abläufe müssen also zunächst in sinnvolle Einheiten gegliedert und der Beginn und das Ende solcher Segmente entsprechend kenntlich gemacht werden. Das geht am einfachsten mit einer statischen Seite, die den Beginn einer solchen zusammenhängenden Sequenz markiert. Hier sehen Sie ein Beispiel:

Anmerkungen innerhalb von YouTube-Videos

Will man dem Anwender die Navigation zu ausgewählten Positionen innerhalb eines längeren Clips noch weiter erleichtern, kann man eine Funktion bei YouTube nutzen, die eigentlich für etwas anderes gedacht ist. Gemeint ist die Funktion, mit der Anmerkungen erstellt werden können. Der Clou dabei ist, dass man diese Anmerkungen mit Links versehen kann, die sich wiederum auf das aktuelle Video setzen lassen:

https://www.youtube.com/watch?v=B0UV-Rpk5wM

In diesem Beispiel befinden sich auf der linken Seite drei transparente Flächen mit den Ziffern 1-3. Auf diese können Sie klicken und so komfortabel auf die jeweiligen Startseiten der „Kapitel“ navigieren.

Direktlinks auf Positionen in YouTube-Videos

Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Trick, wie Sie einzelne Stellen aus längeren Anleitungsvideos gezielt verlinken können. Dazu müssen Sie nur hinter die YouTube-URL das Symbol „#“ und eine Zeitangabe im Format „t=0m35s“ setzen. Also zum Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=B0UV-Rpk5wM#t=0m35s

Im Beispiel beginnt der Clip genau ab Sekunde 35 zu spielen.

Damit ist es möglich, bestimmte Stellen aus einem längeren YouTube-Video z. B. von einer Serviceanleitung heraus zu verlinken oder direkt über das YouTube-Plug-in innerhalb der Anleitung abzuspielen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass YouTube viele Möglichkeiten bietet, didaktisch mehr aus einem Video herauszuholen. Alles spricht also dafür, diesen „Kanal“ systematisch zur Verbreitung professioneller videobasierter Anleitungen zu nutzen und nicht nur zur Unterhaltung.

Unternehmen, die Videos systematisch nutzen wollen, werden sich über kurz oder lang Gedanken darüber machen müssen, wie sie ihre Clips zentral organisieren, sichern und für die verschiedensten Plattformen ausliefern können. Hier kommen Content-Management-Systeme ins Spiel, die auf die Speicherung und Verwaltung von Mediendateien spezialisiert sind: Digital-Asset-Management (DAM) oder speziell für Videos: Video-Asset-Management (VAM).

Wer nach Alternativen zu YouTube sucht, sollte sich Dienstleister ansehen, die solche Systeme inklusive Hosting anbieten. Der Platzhirsch unter den Anbietern ist in Deutschland die MovingIMAGE24 GmbH. Wenn Sie in Ihrer bevorzugten Suchmaschine Digital-Asset-Management oder Video-Asset-Management eingeben, können Sie zu diesem Thema ein wenig recherchieren.

Mir geht es an dieser Stelle nur darum, Sie allgemein für solche Systeme zu sensibilisieren. Das Hosten und Ausliefern von Videos auf dem firmeneigenen Sharepoint oder in Serviceportalen mag für den Anfang sicherlich genügen. Wer jedoch systematisch Video zur Vermittlung technischen Wissens einsetzen möchte, benötigt irgendwann eine umfassende Verwaltungs- und Distributionslösung.

Kommentar schreiben

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich

Kommentare

Kommentare

Keine Kommentare